SUSANNE TEUPE

TEXTE

Regine Nahrwold: „Raumbilder“

Als die Party im Hause eines angesehenen Bürgers in der „Straße der Vorsehung“ ihrem Ende entgegengeht und das erste Paar sich verabschiedet, hält es – von etwas Unerklärlichem seltsam berührt – vor der Haustür inne und kehrt wieder um. Dieser Vorgang wiederholt sich, und im Laufe des Abends wird klar, daß ein geheimnisvoller Zwang die Gäste daran hindert, das Haus zu verlassen. Tagelang bleiben sie so miteinander eingepfercht und geraten in dieser Extremsituation an die Grenzen ihrer physischen und psychischen Belastbarkeit. Niemand kann hinaus- und niemand kann hinein, um Rettung zu bringen. Bis schließlich eine Frau die Eingebung hat, genau die Ausgangslage zu rekonstruieren: Alle Personen nehmen die Position im Raum ein, die sie innehatten, als das merkwürdige Phänomen zum ersten mal auftrat, und plötzlich ist der Bann gebrochen. Man beschließt, einen Dankgottesdienst zu feiern, aber als die Gemeinde, dem Priester folgend, die Kirche verlassen will, hält dieser – von etwas Unerklärlichem seltsam berührt – vor dem Portal inne und kehrt wieder um… Dies ist die Handlung von Bunuels Film „Der Würgeengel“, der sie stark beeindruckt hat, wie mir Susanne Teupe bei unserem ersten Zusammentreffen erzählte. Der reale Raum als Symbol für den unsichtbaren Raum, den wir wie einen Käfig mit uns herum tragen, in den wir womöglich auswegslos eingesperrt sind? Das Gefangensein des Ich in den Grenzen von Urteilen und Vorurteilen, von Konventionen und Gewohnheiten, die eine Berührung mit der Außenwelt unmöglich machen, und jenseits derer erst die „wahre“ Natur sich zeigt? (…) Die Geschichte des Films kann (…) vielleicht etwas vom persönlichen Erleben der Malerin beleuchten, das für die Entstehung ihrer Bilder eine Rolle gespielt hat, und sie kann vielleicht auch etwas von den Empfindungen umschreiben, die diese wiederum im Betrachter auslösen. Die Bedeutung der Bilder aber liegt in dem, was auf ihnen sichtbar wird. Wie kann Raum überhaupt sichtbar werden? Zunächst einmal handelt es sich ja um einen ganz abstrakten Begriff und als solcher ist Raum, die unendliche, alles umfassende Leere, die nur vorstellbar, nicht aber darstellbar ist. Sichtbar wird Raum erst an dem, was ihn füllt, was in ihm existiert, d.h. für die Künste: In der Architektur als dreidimensionaler Bau, der in den Außenraum hineinragt und einen Innenraum umschließt, in der Skulptur als räumlich ausgedehntes, körperliches Gebilde. Und auf der Fläche der Malerei? Hier erscheint Raum als Perspektive, die die Entfernung zwischen den Dingen angibt, als farbige, in der unabsehbaren Ferne verdämmernde Atmosphäre zwischen Himmel und Erde, und als im Licht hell und dunkel aufscheinender, farbig modellierter Gegenstand. Perspektive, Farbe, Licht, Gegenständlich – Figürliches – diese Elemente finden wir auch in den Bildern von Susanne Teupe. Aber sie schließen sich nicht zum Abbild eines realen Raumes zusammen, so wenig wie hier reale Gegenstände abgebildet sind, sondern Formen und Farben, die, von den sichtbaren Dingen abgeleitet, allenfalls noch eine Erinnerung an sie bewahren. Vielmehr spielt Susanne Teupe mit diesen Elementen und spielt sie auch gegeneinander aus, indem sie sie in ein widersprüchliches Verhältnis zueinander treten, sich durchkreuzen und gegenseitig stören lässt. Immer wieder wird – ähnlich wie es in kubistischen Bildern der Fall ist – zunächst der Eindruck von Räumlichkeit erweckt und dann doch wieder gebrochen und in die Zweidimensionalität zurückgenommen. Es wird nicht ein illusionistischer Raum vorgetäuscht, sondern der auf die Fläche gebrachte Raum gezeigt. Angefangen hat sie mit Zimmerfluchten, in denen vereinzelte menschliche Figuren im Bild selbst Einsamkeit, Verlorenheit, Auf – sich – selbst – Zurückgeworfensein thematisierten. In den folgenden Bildern schwand der Ansatz einer perspektivischen Konstruktion mehr und mehr; Raum entstand nun durch die Plastizität von dinghaften Formen, wie sie sich im Helldunkel herausbildet. Und dann verschwanden auch diese dinghaften Formen. Raum wurde ohne Perspektive und Plastizität aus dem Vortreten und Zurückweichen der Farbtöne selbst entwickelt. Der Versuch, aus der reinen Farbe heraus zu arbeiten, bringt allerdings die Schwierigkeit mit sich, dass der Buntwert der Farben bisweilen ihren raumbildenden Helligkeits – und Dunkelheitswert verunklärt. Dies und die intensive Beschäftigung mit der Raumwirkung von Licht hat zu den Schwarz – Weiß – Arbeiten geführt, zu jenen Innenräumen, die durch dramatische Licht – Schattenkontraste etwas Unheimliches, Bedrohliches bekommen und in denen nun nicht mehr eine Figur im Bild, sondern der Betrachter mit sich selbst eingesperrt ist. Enge, niedrige Höhlen, Schläuche, Schächte, Stollen, Gitter, Leitern, Schienenstränge, verkantete Balken und Splitter. Verriegelte Lichtungen. Lichteinfall, -einbruch durch Luken und Löcher. (…) Diese Innenräume wecken Kindheitserinnerungen an jene mit gespenstischen Gerümpel vollgestopften Dachböden und Keller, die Angst auslösten und zugleich unwiderstehliche Anziehungskraft ausübten. Sie lassen aber auch an Piranesis alptraumhafte Carceri zurückdenken und an Caravaggio, dessen „Kellerlicht“, dessen von scharfen Schlaglicht zerhackte Bildfläche und dessen weit gespannte, pathetische Gesten Susanne Teupe eine zeitlang angeregt haben. Sind schon die Schwarz – Weiß – Arbeiten von starker malerischer Schönheit, so erst recht die farbigen, in denen zudem die Mischung verschiedenster Techniken eine reizvolle Oberfläche schafft. In ihren hellen, zarten Farben sind sie wohltuend undramatisch und heiter, und noch lockerer als in den Zeichnungen ist hier die Verbindung von malerischen Mitteln und gegenständlichen Assoziationsmöglichkeiten: Farbe – ein Gefüge gegeneinander versetzter Stellwände, Stoffe, Vorhänge, Collage – Ecke, Kante, Fensterrahmen, Blick hinaus. Ein Stück Foto – Himmel, Landschaft, Industriegebiet. Kreide – Regenschleier, Wolkenfetzen, Spuren eines in Weiß getauchten Pinsels – eine leichte Gardine, die sich im Wind bauscht, wie die auf jenem Raum – Bild, das aus den kleinsten Dingen – Stühlen, Spiegeln, Teppich und einer geöffneten Tür – die größte malerische Sensation macht: Menzels „Balkonzimmer“.


Regine Nahrwold, Vortrag zur Ausstellung: Susanne Teupe „Arbeiten auf Papier“
Torhausgalerie Braunschweig, (1991)
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